Der britische Designer Graham Dartmouth ist in Second Life ein weithin bekannter und erfahrener Experte in Sachen 3D-Modellierung und -Texturierung. Er ist seit längerem aktiv beteiligt an der Entwicklung und Einführung von Meshes in SL. Als Dozent der angesehenen Inworld-Schule Builders Brewery gab Graham sein Wissen in Kursen zu diesem weiten Themengebiet weiter. Dort hatte ich auch die Gelegenheit, an seiner Einführung "Meshes and You" in das Thema teilzunehmen. Ich halte Grahams Ausführungen für so informativ und gut verständlich, dass ich Graham um Erlaubnis gefragt habe, ihn ins Deutsche zu übersetzen und Euch hier zugänglich zu machen.
Eigentlich ist das ganze Grid (Gitternetzsystem), aus dem SL besteht, aus Meshes aufgebaut. Man kann es sehen, wenn man seinen Viewer in den Wireframe Mode versetzt (Gitternetzansicht, PC: Strg + Shift + R, Mac: CMD + Shift + R). Das sieht schon recht eigenartig aus, nicht wahr? - Um zurückzukehren in die Normalansicht, einfach dieselbe Tastenkombination noch einmal anwenden.
Alles im Grid (mit Ausnahme der Avatare) ist aus dem SL-Grundbaustein schlechthin hergestellt: dem gemeinen Würfel. Wir können ihn dehnen, schrumpfen, zu verschiedensten Formen verbiegen (Zylinder, Torus usw.), Pfadschnitte anwenden, zuschneiden, aushöhlen und all die anderen netten Funktionen anwenden, die uns unser Baumenü zur Verfügung stellt. Schließlich kann man noch Texturen aufbringen und so die erstaunlichen Bauten erschaffen, von denen wir tagtäglich umgeben sind. Letztlich geht aber alles auf diesen einfachen Mesh-Würfel zurück.
Im Jahre 2007 führte Quarl Linden eine neue Form namens Sculptie im Grid ein, die alle kennen und die meisten von uns zu schätzen wissen. Doch zum Zeitpunkt der Einführung wurde den Sculpties mit viel Wut und Protesten begegnet, da man befürchtete, dies sei der Tod der herkömmlichen Prims und all die harte Arbeit und Zeit, die wir zwischenzeitlich investiert hatten, sei nun letztlich umsonst gewesen. Doch Sculpties haben die Prims nicht getötet, sondern uns einfach nur ein weiteres Bauwerkzeug an die Hand gegeben.
Heutzutage hören wir dieselben Unmutsäußerungen und Proteste gegen die Meshes. Doch ich werde Euch erzählen, dass Meshes etwas vollkommen anderes als Sculpties sind und sie diese ihrerseits auch nicht ablösen werden. Vielen von Euch wurde bereits erzählt, dass Sculpties auch schon Meshes sind. Bis zu einem gewissen Grad stimmt das sogar. Überdies modellieren viele von uns ihre Sculpties bereits mit 3D-Tools außerhalb von SL wie z.B. Blender, Maya oder 3DStudio Max. Doch all diese Tools benötigen spezielle Plug-Ins, um ihre darin erzeugten Meshes in Sculpties zu verwandeln. Dies ist auch der Grund, warum Sculpties nichts weiter als gesculptete Prims sind und keine Meshes in der Art, wie sie im Sommer 2011 eingeführt worden sind.
Ein Sculptie benötigt eine Sculptmap, um dem Viewer zu sagen, wie die Oberfläche des jeweiligen Prims darzustellen ist (im 3D-Grafik-Jargon spricht man von "rendern"), so dass wir gleichermaßen seltsam wie wundervoll geformte Objekte erzeugen können. Gleichwohl bildet immer derselbe Grundbaustein die Basis: der gemeine Würfel. Wir alle haben das Vorhandensein diese Bausteins schon erfahren dürfen, wenn wir plötzlich gegen etwas gerannt sind, was eigentlich gar nicht da sein dürfte, sich aber offenbar ganz in der Nähe eines Sculpts befindet. Damit das nicht passiert, muss der Sculpt auf Phantom gesetzt werden, wie z.B. bei vielen Treppen.
Ebenso ist zu bedenken, dass Sculpties sehr strikten Beschränkungen unterliegen hinsichtlich der Anzahl von Faces (Flächen), der Ausgangsform für das jeweilige Objekt und einigen anderen. Meshes werden den Designer von einigen dieser Beschränkungen befreien. Doch wenn sie dies schon tun, warum werden sie dann nicht die Sculpties doch ganz ablösen?
Weil - wie bereits zuvor gesagt worden ist - Meshes etwas von Grund auf anderes sind. Sie sind nun einmal keine gesculpteten Prims mehr. Ich werde versuchen, es zu erklären:
Meshes werden auf ganz andere Art und Weise in das Grid hochgeladen, und sowohl die Software für die Server als auch für die Viewer musste neu geschrieben werden, damit wir sie überhaupt sehen können. Daraus entsteht aber auch die Wut auf Linden Lab, das uns aus besagtem Grund "zwingen" will, den Viewer 2 zu benutzen. Ich persönlich mag den V2 nicht, aber ich nehme hin, dass ich diesen Wechsel mitmachen muss, wenn ich weiterhin an SL in vollem Umfang teilhaben möchte. Doch niemand zwingt mich zu wechseln. Allerdings kann man nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass die V1-Viewer alsbald vollends veraltet sein werden und deren Quellcode nicht mehr richtig funktionieren wird. Seit der Einführung der Meshes haben viele V1 es dennoch bewerkstelligt, Mesh-Unterstützung in ihre Software zu integrieren, so dass es inzwischen eine Anzahl von V1-Viewern gibt, mit denen Meshes dargestellt werden können. Eine vollständige Liste kann man finden unter http://www.buildersbrewery.com/tpv/.
Als technische Randbemerkung für Interessierte sei hinzugefügt, dass die Verzögerungen der letzten Monate bei den anderen Third-Party-Viewern dadurch zustanden gekommen sind, dass Linden Lab Teile der Grafik-Software für das Rendering proprietär (also demzufolge nicht mit offengelegtem Programmcode) erstellt hat und die Firma deren Nutzung durch andere Viewer-Entwickler untersagt hat.
Die Änderungen hinsichtlich des Renderings, also der Art und Weise der Darstellung des 3D-Objekts in SL, hat Auswirkungen auf die Aufnahmefähigkeit einer Sim für Prims. Derzeit kann eine ganze Sim insgesamt 15000 Prims aufnehmen, und daran wird sich auch nichts ändern. Meshes werden nach Render-Kosten berechnet. Was bedeutet dies?
Neben den geldlichen, in L$ zu bemessenden Hochladekosten für Meshes haben wir - in Linden-Terminologie ausgedrückt - deren "Weights" ("Lasten") zu beachten. Drei dieser Weights gibt es in bezug auf Meshes:
Eine Kombination aus diesen drei Weights bestimmt die sogenannten Land Impact (LI)-Kosten (Anmerkung: Der früher benutzte Begriff "Prim Equivalent" ist von Linden Lab wieder abgeschafft worden). Dies bedeutet, dass 1 Mesh keineswegs mit 1 Prim gleichgesetzt werden kann. Vielmehr hängt es von der Komplexität des Meshes ab sowie von anderen Faktoren wie den dem Mesh zugeordneten physikalischen Eigenschaften, etwaigen Scripten im Innern des Objekts und sogar den Abmaßen des Meshes (physikalische Größe) ab, wie teuer so ein Mesh kommt. Demgegenüber werden Sculpties weiterhin wie ein einzelner Prim kalkuliert, sprich: 1 gesculpteter Prim besitzt ein Prim-Aquivalent von 1.
Linden Lab hat zwar die Formel offengelegt, um diese Kosten zu berechnen, aber ehrlich gesagt verursacht mir ihre Komplexität nur Kopfschmerzen. So erfährt man als Designer doch erst direkt beim Hochladen von Meshes, wie Land Impact verursacht und wie hohe Kosten für das Hochladen auf einen zukommen. Dies ist auch der Hauptgrund, warum Meshes weder die Sculpties noch die Prims vollkommen verdrängen werden. Selbst wenn man Objekte aus zahlreichen Prims und/oder Sculpties baut, muss das nicht automatisch bedeuten, dass dasselbe Objekt aus einem oder wenigen Meshes geringere Prim-Entsprechungskosten verursacht.
Der Schlüssel, um dies zu verstehen, sind Polygone. Je komplexer ein Mesh wird, desto schlimmer wird es. Kurven sind aufwendig zu rendern, denn glatte Kurven benötigen viele Einzelpunkte. Man sieht also, dass Meshes nicht für alle Anwendungen ausschließlich Vorteile bieten müssen.
Wenn man seine Baumethoden entsprechend anpasst und optimiert, kann man seine Meshes natürlich "leichter" machen. Dies ist etwas, was wir rasch zu lernen haben, sobald wir mit Meshes arbeiten möchten. Sie erfordern beim effizienten Modellieren allerdings auch eine von Sculpties abweichende Herangehensweise. Nachstehende Illustration soll verdeutlichen, wie man bei ein und demselben Projekt ein erstaunliches Maß an Land Impact einsparen kann und dennoch ein vielleicht sogar besseres Ergebnis erzielen kann:
Sobald wir überblicken können, für welche Anwendungsbereiche Meshes besonders geeignet sind, werden sie eine wertvolle Bereicherung unseres Inventar an Bauwerkzeugen darstellen. Denen, die sich mit dem Gedanken tragen, Meshes zu modellieren, kann ich nicht genug ans Herz legen, sich umfassende Modellierungserfahrungen anzueignen sowie sparsam mit der Verwendung von Polygonen zu verfahren. Andernfalls würde man nur sehr "schwere" Meshes zustande bringen, die a) in erheblichem Maße Server-Lag verursachen und b) in SL unverkäuflich wären.
Für alle, die über die Fertigkeiten und Werkzeuge verfügen, die man für die Erstellung von Sculpties auch benötigt, lautet die Antwort "Ja". Gleichwohl wird nicht gleich jeder in der Lage sein, Meshes hochzuladen! Um ein Mesh in dieses Grid hochladen zu können, muss man zunächst einmal die Nutzungsbedingungen in Dateiform heruntergeladen haben und ein als Frage-Antwort-Spiel gestaltetes Linden Lab-Tutorial zum Thema geistiges Eigentum und Urheberrecht hinter sich gebracht haben. An dieser Vorbedingung ist nichts elitäres, und es wurde aus sehr stichhaltigen Gründen an eben dieser Stelle platziert. Während der sehr frühen Beta-Testphase haben nämlich einige Leute 3D-Material aus anderen Spielen entwendet und hochgeladen. Das ist ein Verstoß gegen das Urheberrecht und kann in einem Gerichtsverfahren enden. Wenn Linden Lab über keine personenbezogenen Informationen verfügt, um feststellen zu können, wer diese Objekte eigentlich hochgeladen hat, würde stattdessen das Unternehmen selbst rechtlich zur Verantwortung gezogen. Demzufolge ist dies nur eine Schutzmaßnahme gegen plattformübergreifenden Diebstahl oder "Botting". Durchstreift also lieber nicht das Internet auf der Suche nach "freien" Mesh-Angeboten zum Selbsthochladen. Selbst die frei erhältlichen Meshes, die über einige 3D-Design-Webseiten zu bekommen sind, weisen in ihren Nutzungsbestimmungen normalerweise die Einschränkung auf, rein für private Zwecke genutzt werden zu dürfen. Das bedeutet, dass man sie auch nicht innerhalb von SL verkaufen darf. Abgesehen davon ist ein häufiger Grund, warum sie frei erhältlich sind, dass sie hochgradig polygonlastig sind.
Die Kosten hängen vom jeweiligen Land Impact des Meshes ab. Die derzeitigen Preise beginnen be 11 L$, und der höchste von mir bisher bezahlte Betrag waren 113 L$. Je besser Euer Mesh für SL optimiert worden ist, desto preiswerter wird es. Obgleich 113 L$ nach viel klingt, repräsentiert das Modell doch einen Land Impact von 160 Prims. Wenn man berücksichtigt, dass das Hochladen einer Sculptmap auch 10 L$ kostet (ein Sculpt wird entsprechend den Regeln immer als ein Prim gezählt). lägen die entsprechenden Kosten in Sculpts gerechnet bei 1600 L$!
Eine Reihe von Inworld-Werkzeugen von unterschiedlicher Komplexität stehen für die Mesh-Bearbeitung in der Entwicklung. Man sollte sich allerdings schon darüber im Klaren sein, dass die Anwendung der meisten dieser Werkzeuge auch ein gewisses Maß an Kenntnissen aus externen Modellierungsprogrammen voraussetzt, um sie in Spielumgebungen optimal einsetzen zu können.
Dies mag alles nach Schicksalsschwere und Düsternis klingen, aber dies ist keineswegs der Fall! Meshes bieten nämlich einiges an Vorteilen:
Meshes sind für uns in SL etwas Neues, und ich habe das Gefühl, dass sie sich ähnlich wie die Sculpties verbreiten werden. Als Linden Lab die Sculpties herausgebracht hatte, ließ das Unternehmen sinngemäß verlauten: "Hier ist die Spezifikation, Leute, nun entwickelt mal schön!" Und all die Werkzeuge, die wir heute verwenden, sind entstanden: Sculpt Crafter, Prim Oven, Sculpt Studio usw. Hinzu kamen Werkzeuge, die uns die Verwendung von Offworld-Programmen ermöglichen. Zu nennen sind die Scripts für Blender, 3DSMax, Maya usw., die allesamt von SL-Bewohnern geschrieben worden sind. Deshalb wird es wohl noch ein wenig Zeit brauchen, bis die neuen Mesh-Tools für den Inworld-Einsatz erscheinen. Offworld-Programme sind hingegen schon ohne jedes Plug-In für die Bearbeitung von Meshes geeignet. Meine persönliche Wahl würde immer auf Blender fallen, aber auch Google Sketchup ist ein gutes Einsteigertool. Im Prinzip ist aber jedes 3D-Tool geeignet, das Collada-Dateien exportieren kann.
Linden Lab hat Meshes über ein Jahr lang Beta-Tests unterzogen, um vorhersehbare Probleme vorauszuahnen und zu vermeiden. Doch wir haben uns auch vor Augen zu führen, dass die SL Game Engine inzwischen über 10 Jahre alt ist, und dass sie nun versuchen, diese neue Technologie in selbige einzupassen. Dass dies mit Problemen verbunden ist, liegt auf der Hand.
Ein Nebeneffekt der Einführung von Meshes ist übrigens, dass mittlerweile im gesamten Grid Megaprims mit bis zu 64 m Kantenlänge gebaut werden können, da Mesh-Kompatibilität inzwischen überall gegeben ist. Auryn Beorn, unsere hochverehrte Scripting-Lehrerin in der Builder's Brewery, hat unlängst ein Script entwickelt, dass es erlaubt, auch in Viewern ohne Mega-Baumöglichkeit Megas herzustellen.
Ich habe das Gefühl, dass Meshes bei der Erstellung von Inhalten eine nützliche Hilfe sein werden, sobald wir alle erst einmal deren korrekten und effizienten Einsatz erlernt haben. Neulich sagte jemand zu mir, wir hätten nun auch zu lernen, wann man einen Mesh einsetzt und wann nicht! Überdies habe ich den Eindruck, dass in den wenigen Monaten nach Einführung der Meshes weitaus mehr Fehler gefunden und beseitigt worden sind als in dem ganzen Jahr der Beta-Tests zuvor. Die SL-Öffentlichkeit scheint in diesem Punkt weitaus weniger zurückhaltend zu sein beim Vordringen in neue Gefilde, und dies ist auch der Schlüssel zu den Meshes.
© Graham Dartmouth 2012. Letzte Aktualisierung: 19.05.2012. Übersetzt und redigiert von Almut Brunswick mit freundlicher Genehmigung des Autors.